Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung am 06.11.2008, Abdruck mit freundlicher Genehmigung
der Autorin und Vortragenden, Christiane Schilling
Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung am 06.11.2008, Abdruck mit freundlicher Genehmigung
der Autorin und Vortragenden, Christiane Schilling
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christiane Schilling und ich möchte Sie recht herzlich zur Eröffnung der Ausstellung ‚Spielräume’ hier in der Kölner Musikhochschule begrüßen. Zu Ihrer Beruhigung: Ich habe mir vorgenommen, Ihnen möglichst wenig von der kurzen Zeit bis zum Konzertbeginn zu stehlen, damit auch Sie genügend Spielraum erhalten, den Arbeiten selbst in Ruhe zu begegnen. Diese Entscheidung bringt eine gewisse Großzügigkeit im Umgang mit Details der Vita mit sich, auch die ausgestellten Werke beabsichtige ich nicht umfassend zu kommentieren. Ich verwahre mich also vorab gegen evtl. Regressansprüche.
Als Angela mich vor drei Monaten fragte, ob ich nicht die Eröffnungsrede halten wollte, konnte ich nicht schnell oder nicht entschieden genug: „Nein“ sagen. Das hat mehrere Gründe, vielleicht die gleichen, die für Angela den Anlass gaben, mich überhaupt um diesen Gefallen zu bitten:
So sind wir mittlerweile wohl langjährig gute Freunde, was mir den etwas traulichen Ton in dieser Rede erlauben soll. - Keine Angst Angela, ich plaudere nur Gesellschaftsfähiges aus.
Zu dieser Freundschaft führte, dass wir zusammen unser Kunststudium an der Kunsthochschule Kassel aufgenommen haben, wo wir die Anfängerklasse teilten. So konnte ich Angela damals bei Ihrer künstlerischen Entwicklung über die Schulter schauen, was sich bis heute fortgesetzt hat.
Dieses ergibt den für mich überzeugendsten Grund, mir und Ihnen diese Rede zuzumuten: denn ich kenne ihre Arbeiten schon sehr lange und - ich meine - sehr gut. Ich hoffe, ich kann diese Erfahrung hier und jetzt für Sie und zu Angelas Zufriedenheit nutzbar machen.
Ich fühle mich - das noch vorab - liebe Angela, durch deine Bitte aber nicht nur herausgefordert, sondern ebenso geehrt, da ich die Arbeiten sehr schätze. Denn sie schaffen es immer wieder, mich nicht nur für sich gefangen zu nehmen, sondern verstehen es regelmäßig, mich aufs Neue zu überraschen. Und das von Anfang an:
Schon in der Basisklasse hat Angela Hiss nämlich sehr vielfältig gearbeitet, sie hat gezeichnet, gemalt und mit unterschiedlichsten Materialien experimentiert, was an sich für einen Studienanfänger vielleicht nicht besonders aufregend wäre. Sie entwickelte dann aber – in der Klasse und unter der Obhut von Prof. v. Windheim – einen recht extravaganten eigenen Weg: während andere weiter ihr Glück mit Zeichenstift, Kohle und Pinsel suchten, entdeckte sie daneben die Kettensäge als künstlerisches Ausdrucksmittel. Sie schälte bald in schweißtreibender und ohrenbetäubender Arbeit fragile Holzskulpturen aus überlebensgroßen Baumstämmen, was mir schon damals ihren beachtlichen Gestaltungswillen offenbarte. Die Ergebnisse hingegen zeigten sich so zart und sensibel, dass sie sowohl die Natürlichkeit des Ausgangsmaterials als auch die Grobschlächtigkeit ihrer Genese hinter sich ließen. Von diesen Arbeiten ist hier leider aus pragmatischen Gründen keine zu sehen, wer möchte, kann sie im ausliegenden Katalog aber immerhin als Repro einsehen.
Angela Hiss hat gegen Ende des Regelstudiums 1998 u.a. für diese Arbeiten vollkommen zurecht den Zippelpreis der Stadt Kassel erhalten, der jährlich einen Nachwuchskünstler, der in der documenta-Stadt aktuell wirkt, herausgreift und ehrt.
Es folgten weitere Preise, Meisterstudium in der Windheimklasse, Ausstellungen oder Ausstellungsbeteiligungen und - last but not least – Stipendien und ein Aufbaustudium, was sie u.a. mehrfach nach London führten. Glaubte man – oder zumindest ich – nun zu wissen, was man von Angela Hiss erwarten durfte, sah man sich bald getäuscht: denn in London fing sie an, mit Video zu arbeiten.
Video! Ausgerechnet Video! Gibt es gegensätzlichere Kunstsparten als Bildhauerei und Video? Ich gestehe, ich war zunächst schockiert, trauerte den liebgewonnenen Holzarbeiten nach, die Pause machen mussten. Doch die Künstlerin eroberte sich zäh und auf andere Art schweißtreibend auch dieses Medium: sie trieb das so lange, bis sie nicht nur skeptische Nostalgiker wie mich, sondern auch andere von ihren Ergebnissen so überzeugte, dass sie auch hierfür mehrfach ausgezeichnet wurde.
Angela Hiss zeigt hier ihre Videoinstallation Lorna von 2002, die u.a. hier in Deutschland 2003 zur Verleihung des Kunstpreises der Stadt Marburg im dortigen Kunstverein zu sehen war.
Seit 2003 lebt die Künstlerin nun hier in Köln: neben den Videoarbeiten nehmen hier ihre Zeichnungen und Malereien, die sie von Beginn an begleiteten, wieder breiteren Raum in ihrem künstlerischen Schaffen ein. Wer möchte, kann das in der vorliegenden Werkauswahl gespiegelt sehen. Soweit zum Werdegang der Künstlerin, wer sich genauer darüber kundig machen möchte, kann dies anhand der ausliegenden Biografie tun.
Bei einem so breit gespannten und scheinbar gegensätzlichen Vorgehen, was eint nun das künstlerische Werk? Wo sind die Konstanten? Oder anders gefragt – vielleicht etwas lehrmeisterlich: woran erkennt der geneigte Kunstbetrachter einen „echten“ Hiss?
Es dürfte in diesem Rahmen nicht überraschen, dass in den meisten von Angela Hiss Arbeiten Musik eine Rolle spielt – mal indirekt und diskreter, mal vordergründiger und offenkundig.
So wird sie z. B. tragend in den Videoinstallationen, die – ähnlich der hier gezeigten - häufig von Tango untermalt über das Tanzen und die Bewegung variieren. Ebenso offensichtlich ist sie präsent, wenn die Künstlerin in den hier ausgestellten Arbeiten Musiker zum Ausgangspunkt ihrer zeichnerischen Untersuchungen macht. Dass Angela Hiss selbst ein Instrument und mit diesem zeitweise in zwei Orchestern spielt, erklärt diese Nähe hinlänglich. Dass sie schon immer zu ihren Ausstellungseröffnungen Musiker eingeladen hat, erscheint in diesem Licht nicht als Zufall, sondern als Entscheidung. Dass sie 2000 den Bildhauerwettbewerb zur Gestaltung des Pokals für das Schleswig Holsteinische Musikfestival gewonnen hat, darf man als nur konsequent verstehen. Kurz: Dass sie heute in der Musikhochschule Köln ausstellt, ist eigentlich zwangsläufig.
Versteckter, stiller und leiser, steckt die Musik jedoch schon von Anfang an in ihren Arbeiten:
Ihre Holzskulpturen faszinieren durch eine körperlose Leichtigkeit, entwickeln dabei tänzerische Linien, weiche, fließende Formen, die das Stoffliche abstreifen. Es wundert nicht, dass die damaligen Ausstellungstitel dieser Werke das Prozessuale betonen, dass doch genuin viel mehr der Musik als der Skulptur innewohnt: sie hießen u.a. „durchgehen“, „in den Bäumen blättern“, „beweglich“.
Ebenso finden sich in den Zeichnungen kompositorische Prinzipien, die für meine Begriffe Musikalisches evozieren. Mit am ausgeprägtesten finde ich das vorgeführt in den Klavierzeichnungen: sie kontrastieren die Ordnung eines klaren Rhythmus gegen die wirre Haltlosigkeit des Chaos, weben Klangbänder, die aus befreiten Tastaturen tanzen, stellen das Leise von dicht vernetzten, zarten Liniengespinnsten gegen laute massige, hart kontrastierte Tastaturen bis hin zu einem alles einstürzenden, tumultigen Finale. Wenn ich diese Zeichnungen betrachte, schwebt mir immer eine Idee der Musik vor, die diese Pianisten wohl spielen mögen oder die ihrem Geschehen unterlegt ist. Und wenn sie mir nicht offenliegt (- das ist sicher Bach!), beginne ich sie zu suchen (12-Ton-Musik, Free Jazz oder Punk?).
Die Zeichnungen finden so gleichwohl zu einer ganz eigenen, originellen Notation von Musik.
Diese Grenzüberschreitung, oder zumindest Grenzauslotung, in diesem Falle die Einladung, die Zeichnungen zu „hören“, scheint mir ein weiterer Wesenzug von Angela Hiss Arbeiten zu sein: ihre Skulpturen sollen sich bewegen, ihre Zeichnungen - hier - klingen, in ihrer Videoinstallation oben gerinnt der Bilderfluss wiederum im Loop zu einem Bild mit stark malerischen Anklängen. Ihre Malereien dagegen werden von anderen Rednern als farbige Zeichnungen bezeichnet, ein anderer sagt über ihre Videos, dass „ihre Zeichnungen in Aktion treten wollten“: Die Künstlerin bürstet gern das jeweilige Medium gegen den Strich und nähert es so dem anderen an. Letztlich hat sie so ja auch schon ganz zu Anfang mit der Kettensäge Linien gezeichnet. Mein Verdacht: Angela Hiss sucht dieses Dazwischen, in dem die Kategorien verschwimmen, und macht es als Neuland für ihre Kunst urbar.
Dieses führt uns nun zu einer anderen Konstante: den Themenkreisen ihrer Zeichnungen.
Denn genau wie in dem vorher genannten, Begriffe zersetzenden Dazwischen zeigt sich ebenfalls beim Reden über die Inhalte eine weitere Wesensart ihres Schaffens. Angela Hiss’ Arbeiten sind weniger rational zu begründen oder gar auszudeuten als intuitiv nachzuspüren. Wer in ihren Genuss kommen will, muss das Wagnis eingehen, sich in zu massige, große und kalte Füße, in aufgequollene, quabbelige schwarze Hände ohne Kraft, in überlängte Arme einzufühlen oder er findet sich in ein verbocktes, hartes Rückenquadrat gezwängt. Wer diesen Spielraum betritt, weiß nicht, ob er unbeschadet davonkommt: Er muss sich in das oben beschriebene Tastenchaos werfen, verliert sich im Gewirr der Snares, erduldet als Trompeter übergriffige Schatten, er riskiert seine Kontur und kann sich sogar in den Spiegelungen einer Posaune auflösen. Diese Arbeiten – wie auch die Künstlerin übrigens selbst – scheuen zu viele rohe, einengende und laute Wortkorsetts, erst recht Oberbegriffe wie situativer Zustand, Emotion, Körperlichkeit, Paarkonstellation etc. Denn sie vertreiben den Geist dieser Zeichnungen genauso wie zuviel Reden die Lust am Küssen vertreibt.
Deshalb möchte ich es jetzt damit auch belassen und Sie nun dazu einladen, selbst auf Erkundungstour zu gehen, dabei natürlich noch ganz andere Entdeckungen zu machen, Wege und Pfade, denen Angela Hiss in ihren Arbeiten gefolgt ist und die hier keine Erwähnung fanden. Denn insbesondere für diese Arbeiten gilt: sie stehen dem Betrachter offen, will sich die Künstlerin selbst ja auch nicht festlegen, kategorisieren lassen oder gar berechenbar werden in ihrem Wirken und Arbeiten.
Wer weitere Fragen hat oder in ein Gespräch über die Arbeiten treten möchte, kann sich gerne an mich, aber natürlich noch viel exklusiver an die Künstlerin selbst wenden. Sie gibt sicherlich gerne Auskunft, natürlich nicht zuletzt über die Preise der Arbeiten.
Viel Spaß beim Betrachten und später beim folgenden Konzert.